Stuhlinkontinenz – was ist das?
Bei der sogenannten Stuhlinkontinenz – auch Enkopresis oder Stuhlschmieren genannt – landen typischerweise immer wieder kleine Mengen von weichem Stuhl in der Windel bzw. der Unterhose des Kindes. Definiert wird Enkopresis als wiederholtes Einkoten oder „Stuhlschmieren“ bei Kindern ab einem Entwicklungsalter von 4 Jahren, nachdem organische Ursachen ausgeschlossen sind. Es handelt sich also auch hier um eine funktionelle Störung. Oft wird dieses Stuhlschmieren jedoch vom Umfeld der Kinder als Durchfall oder „unsauber sein“ missinterpretiert und deswegen oft lange nicht erkannt.
Warum die Altersgrenze von 4 Jahren?
Per Definition gibt es die Stuhlinkontinenz erst ab einem Entwicklungsalter von 4 Jahren. Warum ist das so?
Diese Vorgabe der Altersdefinition von 4 Jahren ist sinnvoll, da 18% der dreijährigen Mädchen und 46% der dreijährigen Jungen noch Einkoten (Largo et al., 1996). Bei einer so hohen Prävalenz handelt es sich um ein psychologisches Reifungsphänomen. Erst ab dem Alter von 4 Jahren sinkt die Prävalenz plötzlich auf 1% der Mädchen und 8% der Jungen (Largo et al., 1996). Das heißt also, dass die „Unfallrate“ davor so hoch ist, dass das Einkoten nicht als „Erkrankung bzw. Störung“ angesehen wird. Das ist einerseits gut, weil man nicht allen Kindern, die einfach noch nicht sauber sind, gleich einen Stempel aufdrückt, andererseits heißt das aber nicht automatisch, dass Kinder, die einkoten, keine zugrundeliegende Verstopfung haben können, nur weil sie jünger sind als 4 Jahre.
Jungs sind etwa dreimal häufiger betroffen als Mädchen. Am häufigsten kommt es zwischen dem 7. und 9. Lebensjahr vor (Largo et al., 1978). Im Durchschnitt koten 8-9% aller Kinder ein, 1-3% der Schulkinder sind betroffen (Bellmann, 1966). Die Stuhlinkontinenz tritt überwiegend nur tagsüber auf. In 25 % der Fälle tritt neben der Stuhlinkontinenz auch eine Enuresis (Einnässen) auf.
Nach klinischen Studien koten 70-90% aller verstopften Kinder ein (Von Gontard, 2010) und bei etwa 99% der Kinder mit Stuhlinkontinenz liegt eine chronische Verstopfung zugrunde. In diesem Fall spricht man von einer Stuhlinkontinenz mit Verstopfung (auch Überlauf-Enkopresis).
Bei rund 0,4% der Kinder, die wegen Enkopresis zum Arzt gehen, kann keine Verstopfung als Ursache diagnostiziert werden. Bei diesen Kindern liegt somit die weitaus seltenere Form vor, nämlich die Enkopresis ohne Verstopfung. x
Es müssen also in weiterer Folge diese 2 Varianten unterschieden werden:
- Stuhlinkontinenz mit Verstopfung (retentive Stuhlinkontinenz, Überlauf-Enkopresis)
- Stuhlinkontinenz ohne Verstopfung (nicht-retentive Stuhlinkontinenz)
Stuhlinkontinenz mit Verstopfung
Von „Enkopresis mit Verstopfung“ (retentive Enkopresis, Überlauf-Enkopresis) spricht man, wenn über einen Zeitraum von mindestens 8 Wochen mindestens 2 der folgenden sogenannten „ROM IV Kriterien“ auftreten. Und dies mindestens 2x pro Woche, nachdem das Entwicklungsalter von 4 Jahren erreicht ist: x
- 2 oder weniger Stuhlgänge pro Woche
- mindestens 1 Episode pro Woche mit Stuhlinkontinenz, Stuhlschmieren (bei Kindern, die bereits sauber sind)
- übermäßiges Zurückhalten von Stuhl
- schmerzhafte oder harte Stuhlgänge
- Stühle mit großem Durchmesser, die die Toilette verstopfen könn(t)en
- große Stuhlmassen im Rektum (Enddarm)
Begleiterkrankungen
Zusätzlich zur Stuhlinkontinenz treten häufig Begleiterkrankungen, sogenannte Komorbiditäten auf. Die häufigsten können sein:
- funktionelle Harninkontinenz tagsüber
- Harninkontinenz nachts (Enuresis nocturna)
- Rezidivierende (immer wiederkehrende) Harnwegsinfekte
Als mögliche psychische Begleiterkrankungen (Joinson et al., 2006) kommen vor:
- Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten
- ADHS
- Trennungsängste
- Spezifische Phobien
- Generalisierte Ängste
- Depressive Störungen
- Störung des Sozialverhaltens
- Soziale Phobien
Warum kommt es zusätzlich oft zum Einnässen oder zu Harnwegsinfekten?
Darm und Blase liegen anatomisch sehr nah beieinander. Wenn der Darm voll mit (angestautem) Stuhl ist, kann dieser gegen die Blase drücken. Dadurch kann es zu unkontrolliertem Abgang von Urin kommen (Einnässen, Harninkontinenz).
Außerdem besteht die Möglichkeit, dass es durch den Druck des Darmes auf die Blase und den Blasenhals zu Restharn in der Blase und zu einem Rückfluss des Harns Richtung Nieren kommt (Von Gontard, 2010).
Das Einnässen aber auch das Einkoten kann wiederum eine Harnwegsinfektion begünstigen, die ihrerseits wieder Ursache für das Einnässen sein kann. „Geht’s dem Darm gut, geht’s der Blase gut!“
Stuhlinkontinenz ohne Verstopfung
Von „Stuhlinkontinenz ohne Verstopfung“ (nicht-retentive Stuhlinkontinenz) spricht man, wenn keine chronische Verstopfung als Auslöser der Stuhlinkontinenz besteht und über einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen ALLE der folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Entwicklungsalter von mindestens 4 Jahren
- Mehr als 1 Episode der Stuhlentleerung in sozial unpassendem Kontext pro Monat
- Keine organischen Ursachen
- Kein erkennbares Stuhlzurückhalten (Stuhlretention)
Bei der nicht-retentiven Stuhlinkontinenz koten Kinder zwar ein, zeigen jedoch sonst keine der typischen Symptome einer chronischen Verstopfung (Benninga et al., 1994; 2004). Sie setzen meist täglich Stuhl auf der Toilette ab, die Stuhlmengen sind klein und weisen meist eine normale Konsistenz auf. Die Kinder koten tagsüber seltener ein, sie klagen seltener über Schmerzen beim Stuhlabsatz oder Bauchschmerzen. Der Appetit ist gut, die Colontransitzeit ist unverändert. Kotsteine (Skybala) sind nicht vorhanden. Im Ultraschall sind keine Veränderungen zu erkennen.
ACHTUNG
Die Stuhlinkontinenz ohne Verstopfung ist sehr selten. Sie kommt laut einer Übersichtsstudie in 0,0 % bis 1,8 % aller Fälle vor. Im Durchschnitt also bei 0,4 % aller Kinder, die unter Stuhlinkontinenz leiden. (Koppen et al. 2018).