Welche organischen Ursachen für chronische Verstopfung gibt es?

Bei weniger als 5% aller Kinder mit chronischer Verstopfung liegt eine Fehlbildung oder organische Erkrankung zugrunde. Differenzialdiagnostisch kommt jedoch ein breites Spektrum von Erkrankungen verschiedener Organsysteme infrage (Claßen, 2018). Die häufigsten und klinisch bedeutsamsten sind weiter unten aufgeführt. x

Bild: Comic eines Mädchens mit Sprechblase. In der Sprechblase befindet sich ein Rufzeichen. Achtung!

ACHTUNG

Je früher bzw. je schwerer die Verstopfung, umso eher liegt eine organische Ursache zugrunde!

Mögliche organische Ursachen

Eine Liste aller möglichen organischen Ursachen der chronischen Verstopfung bei Kindern findest du hier:

Neurologische und neuromuskuläre Störungen

  • Zerebralparese, insbesondere bei Spastik
  • Muskelhypotonie, muskuläre Störungen
  • Muskelatrophien oder – dystrophien mit generalisierter Hypotonie
  • Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks
  • Spina bifida mit oder ohne Myelomeningozele
  • Anteriore sakral Meningozele (Currarino – Syndrom)
  • Tumoren der Wirbelsäule
  • Querschnittslähmungen, Trauma
  • Tethered Cord
  • Myelodysplasie

Erkrankungen des Anorektums

  • Morbus Hirschsprung (auch nach operativer Korrektur)
  • Intestinal Neuronale Dysplasie
  • Analatresie (auch nach Operation) x
  • Analstenose; ventralverlagerter Anus
  • Anale Achalasie
  • M. Crohn des Anus mit entzündlicher Rektum- bzw. Analstenose
  • Analfissuren
  • perianale Dermatitis

Gastrointestinale und abdominelle Störungen

  • Chronisch intestinale Pseudoobstruktion
  • Viszerale/autonome Neuropathie
  • Myopathien der glatten Muskulatur
  • Mesenchymopathien
  • Abnorme abdominelle Muskulatur (z. B. prune belly-syndrom)
  • Myotone Dystrophie

Verstopfung als Folge endokriner, metabolischer oder allergischer Erkrankungen

  • Zöliakie
  • Nahrungsproteinallergie, insbesondere Kuhmilchallergie
  • Mukoviszidose mit Pankreasinsuffizienz
  • Hypothyreose
  • Hypokaliäme
  • Hypercalcämie
  • Schwere Dehydration
  • Diabetes insipidus
  • Diabetes mellitus
  • Porphyrie
  • Urämie
  • Multiple endokrine Neoplasie Typ 2B

Verstopfung als Folge von Medikamenten und Toxine (Giftstoffen)

  • Opiate, Codein
  • Anticholinergika
  • Phenytoin
  • Methylphenidat
  • Antidepressiva
  • Chemotherapeutika
  • Bleivergiftung
  • Vitamin-D-Vergiftung (Intoxikation)
  • Aluminiumhaltige Antazida
  • Botulismus

(Modifiziert nach Tabbers, Benninga et al 2004, Claßen 2014, Vriesmann 2020)

Woran kann ich selbst erkennen, dass bei meinem Kind eventuell eine organische Ursache vorliegen könnte?

Bild: Comic eines Mädchens mit Sprechblase. In der Sprechblase befindet sich ein Fragezeichen.

Welche Hinweise gibt es, die darauf hindeuten könnten, dass bei deinem Kind organische Ursachen vorliegen? Die sogenannten „Alarmsymptome“ bei Verstopfung im Säuglings– und Kindesalter sind folgende:

  • Abgang des Kindspeches (Mekonium) > 48 Stunden nach der Geburt bei Termingeborenen
  • Beginn Verstopfung im 1. Lebensmonat
  • Morbus Hirschsprung in der Familie
  • massive Vorwölbung des Bauches
  • abnorme Position oder Verengung des Anus
  • Haarbüschel auf der Wirbelsäule
  • Eindellung am unteren Rücken
  • Analnarben
  • Abweichung des Glutealspaltes („Poporitze“)
  • galliges (grünliches) Erbrechen
  • Gedeihstörung
  • fehlender Appetit (Inappetenz), Erbrechen, Fieber, Darmverschluss (Ileus)
  • Beginn der Verstopfung nach Einführung von Beikost
  • Beginn der Verstopfung nach Einführung von Kuhmilch
  • anhaltende Probleme (Therapieresistenz) trotz konsequenter Durchführung der Therapie
  • Verspätetes Erreichen der Meilensteine der motorischen Entwicklung
  • viel trinken/viel Harnabsatz (Polyurie/Polydipsie)
  • Primäre, anhaltende Harninkontinenz

Auffälligkeiten am Stuhl:

  • bleistiftartiger Stuhl (kommt auch bei schwerer funktioneller Verstopfung vor)
  • bandförmiger Stuhl
  • Blut im Stuhl ohne Einriss der Haut oder Schleimhaut am Anus (Analfissuren)
  • blutiger Durchfall

Häufige und wichtige organische Ursachen kurz erklärt

Morbus Hirschsprung (MH)

Morbus Hirschsprung gehört zu den seltenen, angeborenen Erkrankungen des Darms und kommt mit einer Häufigkeit von 1:3000 bis 1:5000 vor. In Deutschland wird somit ca. jeden 2. bis 3.Tag ein Kind damit geboren. In Österreich etwa 20-30 Kinder pro Jahr. Jungen sind bis zu 4x häufiger betroffen als Mädchen. x
Morbus Hirschsprung tritt in 80% der Fälle als Folge einer spontanen Mutation auf, in den restlichen Fällen ist er genetisch bedingt, daher besteht in vielen Fällen eine familiäre Häufung. x

Kennzeichnend für MH ist, dass in einem unterschiedlich langen Teil der Darmwand sowie im inneren Schließmuskel die Nervenzellen fehlen. Dadurch fehlt dem Darm die Peristaltik (Eigenbewegung), um den Stuhl in Richtung Enddarm und Darmausgang zu transportieren. Die Erkrankung ist immer am untersten Teil des Darmes (Rektum) in unterschiedlicher Längenausdehnung, meist bis zum rektosigmoidalen Übergang, aber auch in manchen Fällen bis hin zum Dünndarm, lokalisiert. An der Stelle, an der die Nervenzellen fehlen, entsteht eine Engstelle, vor der sich der Darminhalt in weiterer Folge staut. Dadurch dehnt sich der Teil VOR der Engstelle aus. Die Folge kann ein sogenanntes Megacolon (Riesendarm) sein. Äußerlich zeigt sich häufig ein sehr dicker und aufgeblähter Bauch.

Anzeichen für MH bei Säuglingen

Da es sich um eine angeborene Fehlbildung handelt, wird die Erkrankung bei schweren Fällen meistens bereits im Säuglingsalter diagnostiziert. Anzeichen für eine Erkrankung mit MH sind:

  • Abgang des Kindspeches (Mekonium) > 48 Stunden nach der Geburt bei Termingeborenen
  • vorliegen eines funktionellen Darmverschlusses (Ileus) – das Neugeborene kann gar kein Kindspech absetzen mit manchmal
  • galligem (grünlich) Erbrechen
  • starke Ausdehnung des Dickdarmes mit möglicher Überwucherung durch Bakterien (toxisches Megacolon) und in weiterer Folge Gefahr einer akuten bakteriellen Darmentzündung (HAEC – Hirschsprung-assoziierte Enterokolitis)
  • massive Vorwölbung des Bauches
  • Gedeihstörung

Anzeichen für MH ab Beikostbeginn

Bei leichteren Formen von MH ist es möglich, dass diese Symptome nur schwach ausgeprägt sind und noch nicht direkt nach der Geburt auffallen. In diesen Fällen ist das Baby augenscheinlich gesund und die Diagnose MH kann nicht direkt nach der Geburt gestellt werden. Solange das Baby gestillt wird, ist der Stuhl in der Regel sehr dünn und kann leicht vom Darm transportiert werden. Da die Frequenz des Stuhlganges bei Säuglingen einer sehr hohen Spannweite unterliegt (zwischen mehrmals täglich bis zu einmal in zwei Wochen), fallen unregelmäßige Entleerungen und Verstopfungsneigung oft lange nicht auf. In diesen Fällen kommt es in weiterer Folge aber spätestens bei der Nahrungsumstellung zu Problemen.

Folgende Merkmale treten meist ab Beikost Beginn auf:

  • ständige starke Verstopfung (Stuhlgang nur jeden 2. – 3. Tag oder seltener)
  • keine beschwerdefreie Zeit zwischendurch
  • Stuhlentleerung erfolgt nur mit Hilfsmitteln oder nach Manipulation am Anus
  • explosionsartigen Entleerung nach Manipulation am After (z.B. Fiebermessen)
  • zähpastiger bzw. sehr harter Stuhl
  • zwischendurch auch flüssiger und stark stinkender Stuhl
  • massive Vorwölbung des Bauches
  • schlechter Allgemeinzustand des Kindes
  • Erbrechen oder Verweigerung der Nahrungsaufnahme. Achtung: Hier besteht auch die Gefahr einer Austrocknung (Dehydration)
  • Gedeihstörung

Kuhmilchproteinallergie

Bei Säuglingen und Kleinkindern mit therapieresistenter Verstopfung kann auch eine Kuhmilchallergie Auslöser der Verstopfung sein. Postuliert wird eine durch die Allergie vermittelte Entzündung im Enddarm. Da meist keine Antikörper (IgE) nachzuweisen sind, muss ein Karenz- und Expositionsversuch durchgeführt werden (Carrioco, 2006; Borrelli, 2009).

Zöliakie

Die Zöliakie ist eine durch Glutenunverträglichkeit verursachte Erkrankung des Magen-Darm-Trakts. Sie ist besonders durch eine chronische Entzündung der Dünndarm­schleimhaut aufgrund einer Überempfindlichkeit gegen Bestandteile von Gluten (Klebereiweiß) charakterisiert. Die Unverträglichkeit bleibt lebenslang bestehen. Sie ist zum Teil erblich und kann derzeit nicht ursächlich behandelt werden. Die Therapie besteht darin sich glutenfrei zu ernähren. Bei ca. 10 % der Kinder mit einer Zöliakie findet man zu Beginn eine chronische Verstopfung. (Claßen, 2018)

Mehr Informationen zu diesem Thema findest du bei der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. und bei “Zöliakie verstehen